Das Kulturforum am Tiergarten entstand nach dem Zweiten Weltkrieg quasi als westliches Pendant zur Museumsinsel, die nach der Teilung der Stadt im Osten lag. Aktuell wird dort das neue Museum des 20. Jahrhunderts gebaut, ein Projekt, das dem Standort noch mehr kulturelle Strahlkraft verleihen wird.
Weniger bekannt ist, dass diese Gegend bereits vor dem Krieg ein bedeutendes kulturelles Zentrum war. Genau daran erinnert jetzt eine sehenswerte Ausstellung im Foyer der Kunstbibliothek. Unter dem Titel »Zeitreise ins alte Tiergartenviertel« wird das Viertel rund um die heutige Matthäikirche wieder lebendig. Ein Ort, der in den 1910er und 1920er Jahren ein Hotspot der Moderne war.
Damals lebten hier Künstlerinnen und Künstler, Sammler, Intellektuelle, Modejournalistinnen und Literaten dicht beieinander. Sie prägten mit ihren Ideen und ihrer Kreativität die kulturelle Identität Berlins. Marlene Dietrich ließ sich bei der „Modezarin“ Erna Becker ihre legendären Hosenanzüge schneidern. Der einflussreiche Kunsthändler Paul Cassirer wohnte hier mit seiner Frau, der Schauspielerin Tilla Durieux. In den großbürgerlichen Wohnungen gaben sich Kunst- und Kulturschaffende die Klinke in die Hand.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten endete diese kulturelle Blütezeit jäh. Viele jüdische Bewohner wurden verfolgt oder ermordet. Die Bomben des Zweiten Weltkriegs zerstörten das Viertel fast vollständig. Den Rest übernahmen die Stadtplaner der Nachkriegszeit.
Die Ausstellung folgt den Spuren einiger einstiger Bewohnerinnen und Bewohner – auch über das Kriegsende hinaus. Manche konnten emigrieren und im Exil neu Fuß fassen. So etwa der Filmarchitekt Ken Adam, der in der Matthäikirchstraße geboren wurde und später mit seinen Szenenbildern für die James-Bond-Filme ein Oscar gewann.
Das ist nur eine von vielen spannenden Geschichten, die in der Ausstellung angerissen werden. An manchen Stellen wünscht man sich noch etwas mehr, aber die Schau versteht sich auch als Auftakt zu einer tiefergehenden Erforschung dieses bedeutenden Berliner Viertels. Einige begleitende Vorträge sind schon geplant, hoffentlich folgen bald auch Führungen. Kuratorin Dr. Gesa Kessemeier weiß jedenfalls mitreißend zu erzählen.
Sehr hilfreich in der Ausstellung ist ein alter Stadtplan, auf dem die Wohnorte vieler bekannter Persönlichkeiten markiert sind. Perfekt, um sich nach dem Besuch der Ausstellung auf einen kleinen Spaziergang durch das heutige Viertel zu begeben. Auch wenn die meisten Gebäude nicht mehr stehen, sieht man die Gegend danach mit anderen Augen.
Die kleine, aber feine Dauerausstellung ist montags bis freitags von 9 bis 20 Uhr, am Wochenende von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.