Eine spannende Ausstellung im Museum Schöneberg beleuchtet eine Seite dieser ehemaligen Landgemeinde, die mir bisher völlig unbekannt war. In der Hauptstraße 14–16, wo heute in einem Flachbau aus den 1970er-Jahren ein türkischer Supermarkt untergebracht ist, befand sich einst eine Brunnen- und Badeanstalt. Das Maison de Santé, wie es damals hieß, wurde 1861 von dem jungen Arzt Eduard Levinstein im noch sehr ländlich geprägten Neu-Schöneberg gegründet.
Zunächst war es eine Art Kurklinik. Hier wurden Trink- und Badekuren angeboten, und Levinstein spezialisierte sich bald auf die Behandlung von Morphiumsucht, was damals ein sehr aktuelles Thema war. Um die Entzugserscheinungen zu mildern, griff man auf Mittel zurück, die heute eher befremdlich wirken: Champagner, Cognac oder Bier zum Frühstück galten als wirksame Helfer, um die Patienten zu stabilisieren. Das Publikum war exklusiv, viele Gäste kamen aus wohlhabenden Kreisen und reisten mit eigenem Personal an.
Im Laufe der Zeit wandelte sich die Einrichtung. Levinstein richtete eine eigene Abteilung für psychisch Kranke ein und orientierte sich an den damals modernen Erkenntnissen der Psychiatrie. Besonders hervorzuheben ist, dass er einer der ersten in Berlin war, der das sogenannte Non-Restraint-System einführte, also bewusst auf Zwangsmaßnahmen verzichtete. Damit setzte er einen wichtigen Kontrast zu den bis dahin üblichen Methoden wie Zwangsjacken, Drehstühle oder Kaltwassergüsse. Später entwickelte sich das Maison de Santé zur angesehenen Privatklinik für Nerven- und Gemütskranke, ehe es zeitweise auch als Zweigstelle der städtischen Dalldorfer Nervenklinik (heute Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik) genutzt wurde.
Das Haus war nicht nur medizinisch, sondern auch gesellschaftlich von Bedeutung. Zu den Patienten gehörten prominente Persönlichkeiten wie der Philologe Georg Büchmann, Herausgeber der »Geflügelten Worte«, und der Unternehmer Wilhelm von Carstenn, der die Villenkolonien Friedenau und Lichterfelde plante. Nach Levinsteins Tod 1882 führten seine Nachkommen die Klinik weiter. Im Ersten Weltkrieg diente sie als Reservelazarett für nervengeschädigte Soldaten, 1919 wurde die Einrichtung schließlich geschlossen.
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Von dem Ensemble zwischen Hauptstraße und Belziger Straße sind bis heute Teile erhalten geblieben. An der Belziger Straße erinnert eine Gedenktafel an die Klinik, und auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist noch ein Stück des alten Gartens als kleine Parkanlage zugänglich. Auf dem Alten Gemeindefriedhof in der Hauptstraße befindet sich zudem das Mausoleum der Familie Levinstein, das inzwischen als Urnenhalle genutzt wird. Ein Besuch der Ausstellung lässt sich so wunderbar mit einem kleinen Rundgang durch Schöneberg verbinden.
Die Ausstellung »Zwischen Wellness und Wahnsinn. Dr. Levinsteins Maison de Santé« ist noch bis 30. November 2025 im Museum Schöneberg zu sehen. Das Museum ist montags bis donnerstags sowie samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr geöffnet, freitags von 9 bis 14 Uhr. Der Eintritt ist frei.