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Dorfkirche und Kirchhof Giesensdorf
Der kleine Friedhof an der Ecke Ostpreußendamm/Osdorferstraße im Bezirk Steglitz-Zehlendorf gehört sicherlich nicht zu den spektakulärsten Friedhöfen Berlins. Trotzdem lohnt ein etwas genauerer Blick.
„Giesensdorf“ ist den meisten Berlinern wahrscheinlich gar nicht bekannt. Es war einstmals ein Dorf und ein Rittergut und wurde später (1878) in Groß-Lichterfelde eingemeindet. Das wiederum 1920 dann in Groß-Berlin aufging.
Wie in so vielen ehemaligen Dörfern Berlins ist die Dorfkirche das Einzige, was noch an das Dorf erinnert. In diesem Fall ist auch noch der umliegende Friedhof bestehen geblieben. Er wird noch immer für Beisetzungen genutzt. Die Gräber sind dabei scheinbar chaotisch rund um die Kirche angeordnet und nicht in Reih und Glied wie größtenteils auf anderen Friedhöfen.
Was für mich den Friedhof so besonders macht, sind die Aktivitäten der Gemeinde, den Besuchern des Friedhofes die Geschichte des Ortes und der dort beigesetzten Menschen nahezubringen.
An rund 25 Gräbern findet man einen QR-Code, den man mit dem Smartphone abscannen kann und dann genauere Informationen über den Verstorbenen erhält. Als Text und als Audiodatei. Das habe ich in dieser Form noch auf keinem Friedhof so konsequent umgesetzt gesehen.
Besonders interessant, weil es sich nicht um berühmte Personen handelt, sondern um ganz normale Bürger der Gemeinde. Manche sind erst vor einigen Jahren verstorben, andere schon vor über 100 Jahren.
Durch die abrufbaren kurzen Texte werden sie ein wenig lebendig. Man hört z.B. von Emil Hanschmann (1911-1986) der ein begeisterter Radball-Sportler war, oder von Ludwig Stechert (1752-1834) der sein mageres Gehalt als Lehrer mit einer Seidenraupenzucht aufbesserte.
Aber auch tragische Schicksale begegnen einem bei Erkundungen auf diesem Friedhof: Elisabeth „Lilly“ Wust (1913 -2006) verliebte sich in der Nazizeit in die Jüdin Felice Schragenheim. Diese Liebe durfte nicht sein. Felice wurde im Konzentrationslager ermordet. Im hohen Alter erzählte Lilly Wust der Autorin Erica Fischer ihre Geschichte. Daraus entstand das Buch und später der Film „Aimée & Jaguar“.
Auch viele Pfarrer haben auf diesem Friedhof ihre letzte Ruhestätte gefunden. Eine etwas skurile Besonderheit in der Gemeinde war, dass über fast 200 Jahre lang der Pfarrer jeweils die Tochter seines Vorgängers heiraten musste. Diese Zeiten sind inzwischen lange vorbei, soweit ich weiß.
Ich fand es auf jeden Fall sehr spannend über den kleinen Friedhof zu laufen und hier und da die Geschichten der Verstorben anzuhören. Das würde ich mir auch auf anderen Friedhöfen wünschen. Zum einen als Würdigung für die Verstorbenen und zum anderen als praktischer Geschichtsunterricht und Heimatkunde.
Der Friedhof ist tagsüber immer geöffnet. Die kleine Dorfkirche kann man immer freitags von 15 bis 17 Uhr besichtigen.
Weitere Informationen gibt es auf der sehr informativen Webseite zu Kirche und Friedhof Giesendorf.